Die Wegbereiterin des Bestands: Sarah Dungs

Sarah Dungs: Nein, wir sind tatsächlich Vorreiter der Branche geworden. Dabei versuchen wir gar nicht, vorauszugehen, wir wollen Menschen mitnehmen. Wir wollen zeigen: Bauen im Bestand funktioniert wirtschaftlich, sozial und ökologisch, wenn man einige wichtige Werkzeuge beherrscht.

Woher kommt der Wandel?

Sarah Dungs: Mittlerweile funktioniert Neubau nicht mehr so, wie noch vor einigen Jahren. Da entsteht automatisch Druck und in der Folge Wandel. Viele sind motiviert und machen sich auf den Weg. Wir werden immer häufiger um Unterstützung gebeten, deshalb ergänzen wir unsere klassischen eigenen Entwicklungsprojekte nun um Beratungsleistungen und gehen Tandem-Partnerschaften ein. Wir helfen Unternehmen, sich mit unserer Expertise weiterzuentwickeln.

Sarah Dungs: Worauf wir immer wieder treffen, ist das unerwartete Problem. Und das Wichtigste, was wir beim Bauen im Bestand lernen können, sind Problemlösungs-Strategien. Klar wiederholen sich manche Themen, aber es gibt immer Besonderheiten, die ein vorheriges Projekt so nicht hatte. Deshalb liegt die größte Kompetenz darin, Strukturen zu schaffen, die es einem ermöglichen, flexibel auf Anforderungen zu reagieren. In den letzten 30 Jahren haben wir uns als Branche Prozesstools aufgebaut, die für Neubauten funktionieren und deren Ablauf alle Beteiligten am Bau genau kennen. Die funktionieren aber für Bauen im Bestand nicht. Wir brauchen ein anderes Fundament, einen anderen Umgang miteinander, andere Tools. Im Bestand muss man die Neubaubrille absetzen. Diesen Fundamentwechsel wollen wir Unternehmen vermitteln, damit sie dauerhaft selbst tätig werden können.

Sarah Dungs: Wichtig sind sowohl Management- als auch Leadership-Kompetenzen. Außerdem braucht man ein ausgeprägtes technisches und kaufmännisches Verständnis. Ausschlaggebend ist zudem eine persönliche Fehlerkultur. Man muss das Positive an Fehlern sehen und immer wieder aufstehen. Dafür braucht es Mut. Mut, sich an Risiken heranzutrauen und nicht vorher zu resignieren. Das Wichtigste ist jedoch die Koordinationsfähigkeit: Von den Verträgen bis zur Ablaufplanung muss man alle Fäden in der Hand behalten.

Sarah Dungs: Cradle-to-cradle-Projekte sind super für die Zukunft. Aber das Nachhaltigste, was wir momentan tun können, ist, das Bestehende zu erhalten. Der alte Bestand ist vielleicht nicht so gradlinig, aber er ist besonders. Außerdem kann ich ihn so modifizieren, dass er zu meinen Bedürfnissen passt. Da kommt es natürlich stark auf die Umsetzung an.

Sarah Dungs: Ja, natürlich. An erster Stelle sollte der Versuch stehen, so viel es geht zu behalten. Als zweites folgt dann die Wiederverwendung, die jedoch oft durch die aktuelle Regulatorik erschwert wird. Erst danach sollte an Recycling als nächsten Schritt gedacht werden. Diese Entscheidungen sind aber natürlich immer individuell von Projekt zu Projekt zu treffen.

Sarah Dungs: Erstens, dass bei ökologischen Betrachtungen und Vergleichen der gesamte Lebenszyklus eines Gebäudes gewertet wird. Bisher wird immer nur die Bewirtschaftungsphase betrachtet und Bestandsgebäude stehen schlechter dar. Emissionen, die bei der Herstellung entstehen, werden auf die nächsten 50 Jahre gerechnet. Das funktioniert mit einem weltweiten CO₂-Budget aber nicht. Ich kann mir schließlich keinen Kredit bei der Erde nehmen.

Punkt zwei: Die Trennung von Neubau und Bestand in Normen und Gesetzen. Vereinfacht formuliert, ich würde ein Neubaugesetz und ein Bestandsgesetz entwerfen. So könnten zahlreiche Regelungen simplifiziert, entschlackt werden oder gar entfallen.

Punkt drei wären klassische Steuererleichterungen und Fördermöglichkeiten für den Bestand.

Sarah Dungs: Wir wollen Bauen im Bestand vereinfachen und das können wir am besten mit vereinten Kräften. Der Bedarf ist da: Wir haben mittlerweile 177 Mitglieder und schon viel geschafft. Wir haben zum Beispiel einen Risiko-Leitfaden für Bauen im Bestand entwickelt, der kostenlos auf unserer Website heruntergeladen werden kann und mit der BiB 276 die DIN 276 für das Bauen im Bestand „übersetzt“. Weitere Tools sind in Planung.

Sarah Dungs: Nein, denn ich bin überzeugt davon, dass es gut ist, wenn nicht nur ein Mensch denkt, sondern unterschiedlichste Menschen zusammenkommen. Nur wenn man Stärken kombiniert, wird es richtig gut. Dann wird aus eins plus eins drei.

Sarah Dungs: Man würde erwarten, dass ich jetzt eine Oper oder eine Kirche aufzähle. Die sind auch mit Sicherheit dabei, aber was mich am meisten reizt, sind diese profanen Immobilien, wovon wir so viele in Deutschland haben. Aus außergewöhnlichen Bauten kann man viel herausholen. Aus etwas Profanem etwas Cooles zu machen, dabei kann man wirklich zeigen, dass man Bauen im Bestand beherrscht.